Ich wollte unbedingt diesen Sommer ans Meer – wie jedes Jahr. Mindestens einmal im Jahr MUSS ich am Meer sein, zum Auftanken, Seele baumeln lassen, vor allem Schwimmen gehen und einfach mal abtauchen. Früher war es jedes Jahr die Ostsee, später das Mittelmeer, der Atlantik, der Pazifische Ozean… Und ich erreiche meine Ziele immer.

Ich lasse mich also gerade ganz entspannt in den Ostseewellen treiben. Herrlich! Sie sind ziemlich kräftig heute und ziehen mich immer weiter hinaus. Ich verspüre keine Angst, denn ich kann sehr gut schwimmen, war ja mal Rettungsschwimmer.

Da bekomme ich so ’ne richtige Watschen verpasst, wie ein Blitzschlag durchströmt es meinen ganzen Körper. Und ganz plötzlich sind sofort wieder die Emotionen von damals da, als ich gerade 17 war. Angst, Wut, Unverständnis, verletzter Stolz… als diese negativen Gefühle. Die waren irgendwo ganz tief in meinen Zellen abgespeichert. So ’nen Shit.

Ich sehe mich wieder mit Tränen vor Wut gegen die unbändigen Wellen ankämpfen. Sie kommen von allen Seiten, denn dieser Teil der Ostsee ist tückisch. Unser Rettungsboot ist nur noch eine Nussschale in den Wogen, die immer höher werden. Der Motor funktioniert schon länger nicht mehr. Er ist verstopft mit Seetang, den die Wellen mitgebracht haben, so als „Bonuspaket“. Danke! Ein Paddel haben wir auch schon verloren im Kampf mit den übermächtigen Wellen. Wir sind beide jung, der andere Rettungsschwimmer und ich, kräftig, gut ausgebildet und mutig! Ja, natürlich helfen wir und sind sofort zur Stelle, als der Notruf kommt. Ein Surfer ist da draussen und schafft es nicht allein zurück ans Ufer! Kein Wunder bei dem Wetter! Wir also los, dafür sind wir da!

Völlig erschöpft, durchgefroren und mit Tränen in den Augen, kommen wir Stunden später wieder an Land. Oder besser gesagt, wurden wir an Land gespült. Ziemlich weit weg von unserem Einsatzort, in der Nähe eines Kernkraftwerkes, wo uns der freundliche Hafenmeister Decken und warmen Tee gibt und unseren Chef informiert. Dieser tobt ziemlich heftig, brüllt uns gefühlt ne halbe Stunde lang an, … ob wir wahnsinnig wären, bei so ’nem Wetter rauszufahren…, anstatt sich zu freuen, uns lebend wieder zu sehen. Wir hatten eh schon die Nase voll, und nun auch das noch. Na super! Und den Surfer haben wir auch nicht gerettet. Ist doch alles toll gelaufen. Yes, I will survive, trällert eine Stimme meinen damaligen Lieblingssong in meinem Kopf.

Erst heute, mehr als 30 Jahre später, also genau jetzt in diesem „vertrauensvoll-mit-den-Wellen-einfach-mittreiben-lassen-Moment“, begriff ich zum ersten Mal so richtig, warum der uns damals so angeschrien hat, statt uns erfreut in die Arme zu schliessen oder wenigstens uns zu unserem großen Mut zu gratulieren und was wir doch für tolle Rettungsschwimmer wären! … Heute dringen seine Worte wirklich das erste Mal zu mir. Heute begreife ich deren weitreichende Bedeutung für mich und mein Leben, die Ewigkeiten in meinem Unterbewusstsein gespeichert war. Heute verstehe ich das erste Mal wirklich, was er uns damals lautstark sagen wollte:

„Wenn der Surfer so weit draußen ist, außerhalb der erlaubten Zone, dann ist das seine eigene Entscheidung und auch seine alleinige Verantwortung! Und das bei diesem Wetter! Da seid ihr dann komplett raus! Es ist nicht mehr unsere/ Deine Verantwortung!“

Obwohl noch nicht wieder aufgewärmt war, weiß ich noch, kochte es damals in mir: „Was ist das denn für ein Schwachsinn! Ich bin nicht jahrelang Rettungsschwimmer geworden, damit ich dann NICHT andere Menschen rette, wenn sie in Not sind. Hier mache ich nie wieder Dienst!!!“

Heute, als die Wellen wiedermal an mir ziehen, kommt die wertvolle Bedeutung seiner Worte wirklich bei mir an:

Setze niemals so Dein Leben auf’s Spiel!“ und „Nichts und niemand auf der Welt ist das wert!“

Nun verstehe ich endlich:

  • das mein Leben, meine Gesundheit, meine Freiheit … einzigartig wertvoll sind, unersetzbar, unwiederbringlich.
  • dass ich niemals mehr mein Leben für jemand anderen aufs Spiel setze.
  • jeder (zumindest Erwachsene) Mensch für sich seine eigenen Entscheidungen trifft/ treffen muss und für diese zuallererst selbst verantwortlich ist. UND, schon oft gehört, denn ich liebe fliegen, aber noch nie richtig verinnerlicht:
  • jeder sich selbst zuerst die Sauerstoffmaske aufsetzt, wenn es notwendig wird. Danach erst bist Du in der Lage, anderen zu helfen.

Meine Lebenszeit ist mir sehr wertvoll. Ich habe keine Freude mehr (zum Glück!), meine Zeit damit zu verbringen, die Verantwortung für andere zu übernehmen (auch nicht für meine Kunden). Mir ist meine Arbeitszeit zu wertvoll, in meinen Workshops, Coachings und Mentorings über Probleme, und alle die Gründe, warum was nicht funktioniert, zu reden (auch für viel Geld nicht!).

Deshalb kläre ich vor jedem Coaching, jedem Workshop, jedem Auftrag vorher ganz klar ab:

  • wenn Du Deine eigene Entscheidung getroffen hast, dass DU eine Veränderung willst, und zwar JETZT, dann finden wir sofort einen gemeinsamen Termin, um zu starten.
  • Wenn Du mir sagst, dass Deine Frau/ Mann, Dein Arzt, Dein Chef usw. Dich zu mir geschickt hat, dann „U-turn please“. Erst, wenn Du Dich 100% für Dich entschieden hast und wenn Du die Verantwortung selbst übernimmst, dann starten wir unsere Zusammenarbeit!
  • Oder wenn wir im Workshop über Möglichkeiten des „Nein-Sagen“ sprechen. Gleiche Situation: Geh in Deine Verantwortung! Sprich für Dich! Triff die Entscheidungen für Dich! Übernimm die Verantwortung für Dein Leben. Denn:

Dein Leben (kannst Du auch ersetzen z.B. mit Deine Gesundheit, Deine Freude, Dein Glück, Deine Beziehungen, Deine Wohlstand, Deine finanzielle Freiheit…) ist das Wertvollste, was Du hast!

Du darfst die Verantwortung für Dein Leben übernehmen! Du darfst die Entscheidungen für Dich treffen!

Das ist für mich Freiheit! Das ist für mich selbstbestimmt leben! Das bedeutet Wertschätzung Dir selbst gegenüber!

Du bist der wertvollste Mensch in Deinem Leben!

Punkt.

*Tage später lag eine Schachtel Pralinen vor meinem Zelt. Ohne Zettel, ohne ein einziges Wort. Nicht mal danke. Wir hatten mittlerweile die Nachricht erhalten, dass der Surfer von einem großen Fischerboot, das noch draussen war, an Bord genommen wurde. – Gut, dass wir auch wir irgendwann irgendwo dann an Land gespült wurden… – lebend!